Ein musikgeschichtliches Phänomen zwischen Aufklärung und Gegenwart
Verzeichnis der Tonaufnahmen
Die Tonaufnahmen sind Teil des durch die VolkswagenStiftung (VWS) geförderten Forschungsprojekts an der Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg „Die Orgel als Erklärungsmodell für Kulturphänomene von der Aufklärung bis in die Gegenwart – Betrachtungen von Transformationen und Paradigmenwechsel im kulturhistorischen Diskurs“ von Prof. Dr. Michael Gerhard Kaufmann und Prof. Dr. Uta Hengelhaupt. Sie beziehen sich als Dokumentation des Veränderungsprozesses bei Orgelbau und Orgelspiel auf die daraus resultierende und im Ergon-Verlag publizierte Studie „Kulturerbe Orgel – Ein musikgeschichtliches Phänomen zwischen Aufklärung und Gegenwart“. Im abschließenden Kapitel werden an ausgewählten Instrumenten exemplarische Kompositionen aus den untersuchten Zeitabschnitten vorgestellt, um damit den im Buch beschriebenen Prozess des epochalen Klangwandels von der Aufklärung bis zur Gegenwart beispielhaft hörbar zu machen. Dies geschieht unter dem Gesichtspunkt einer historisch informierten Aufführungspraxis, bei der orgelbauliche Parameter der jeweiligen Epoche mit der Stilistik und einer daraus resultierenden Interpretation der Stücke korrelieren. Die im jeweiligen Instrument angelegten klanglichen Eigenschaften werden für die Darstellung der musikalischen Strukturen der ausgewählten Komposition genutzt, um ein möglichst authentisches Zeugnis der einstmals implizierten ästhetischen Aussage zu geben, das auch heute noch Gültigkeit für sich beanspruchen kann. Für die beispielhafte Darstellung dieser inneren Bezüge wurden sowohl vorhandene als auch explizit neu produzierte Aufnahmen verwendet. Interpret sämtlicher Werke ist der Mitautor des Bandes Michael Gerhard Kaufmann.
Die Produktion der im Rahmen des Forschungsprojekts getätigten Aufnahmen (Nikolauskirche Aulfingen, Adelhauserkirche Freiburg, Augustinermuseum Freiburg, Petrikirche Eisleben) erfolgte durch den Verlag Organum Musikproduktion, Öhringen; verantwortlich als Tonmeister zeichnet Klaus Faika. Die Einspielungen wurden als Dokumentaraufnahmen durchgeführt. Ziele waren dabei eine weitgehende Vergleichbarkeit der Klangbilder von den bespielten Instrumenten bei hoher Farbtreue sowie näherungsweise realistische Höreindrücke von der jeweiligen Raumakustik. Die benutzten Mikrofone und die angewandte Aufnahmetechnik waren dabei nahezu identisch, abgesehen von situationsbedingt nötigen Modifikationen. Die zweikanalige, stereofone Übertragung bzw. Wiedergabe setzt hinsichtlich des Räumlichkeitseindrucks prinzipbedingt Grenzen und ermöglicht kein immersives Hörerlebnis, wie es dem Wesen der Orgelmusik in der Natur zu eigen ist. Im Zeitraum der Projektplanung war die Verfügbarkeit normierter und geeigneter Verfahren zur Online-Übertragung von dreidimensionalen Aufnahmen, wie z. B. das heute etablierte Trägerformat Dolby-Atmos®, nicht zweifelsfrei absehbar. Zudem wurde auf eine bisher unveröffentlichte Aufnahme (Stiftskirche Obermarchtal) zurückgegriffen, die für den Verein zur Förderung der Musik Oberschwabens e.V., Biberach an der Riß, in Zusammenarbeit mit Südwestrundfunk Baden-Baden SWR2, im Mai 2013 entstanden ist (Produktion: Henner Faehndrich; Redaktion: Anette Sidhu; Tonmeister: Klaus-Dieter Hesse).
Obermarchtal, ehemalige Prämonstratenser-Reichsabtei, Stiftskirche St. Peter und Paul,
Münster, Johann Nepomuk Holzhey, Ottobeuren, 1777-80,
restauriert durch Orgelbau Rohlf, Neubulach, 2010-13
I. Hauptwerk C-f3 | II. Positiv C-f3 | III. Echowerk C-f3 |
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1. Praestant 16 | 16. Principal 8’ | 29. Nachthorn 8’ |
2. Principal 8’ | 17. Rohrflöten 8’ | 30. Dulciana 8’ |
3. Copel 8’ | 18. Salicional 8’ | 31. Spizföten 4’ |
4. Quintaden 8’ | 19. Unda maris 8’ | 32. Cornet Resit 4-fach 4’ |
5. Gamba 8’ | 20. Flautravers 8’ [ab c] | 33. Flageolet 2’ |
6. Viola 8’ | 21. Octav 4’ | 34. Vox humana 8 |
7. Octav 4 | 22. Hohlflöten 4’ | 35. Cromorne Baß 8’ |
8. Flöten 4’ | 23. Quint 3’ | 36. Schalmei Diskant 8’ |
9. Nazard 3’ | 24. Siflöt 2’ | |
10. Sexquialter 3-fach 3’ | 25. Hörnle 2-fach [2’ + 13/5’] | |
11. Cornet 3-fach 3’ | 26. Cimbal 5-fach 2’ | |
12. Superoctav 2’ | 27. Fagott Baß 8’ | |
13. Mixtur 6-fach 2’ | 28. Hautbois Diskant 8 | |
14. Trompet 8’ | ||
15. Claron 4’ |
Kronwerk C-gis1| stumm | Pedal C-d1 | Koppeln |
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Principal 2 | 37. Subbaß 16 | Tuttibaß [I/P, Zug] |
38. Octavbaß 8’ | Positiv-Cupl [II/I, | |
Schiebekoppel] | ||
39. Violonbaß 8’ | Echo-Cupl [III/I, Zug] | |
40. Cornetbaß 5-fach 4’ | ||
41. Bompard 16’ | ||
42. Trompet 8’ | ||
43. Claron 4 |
Nebenzug |
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Tremulant Echo |
System: Schleifenwindladen;
Trakturen: mechanisch;
Windversorgung: sechs Keilbälge mit Aufzugsanlage (rekonstruiert nach Holzhey) bzw. zwei Mehrfachfaltenbälge (restauriert aus Bestand Gebrüder Späth, Ennetach, 1896) mit Ventus-Gebläsemotor („Langsamläufer“ aus dem Jahre 2012);
Temperierung: ungleichstufig (modifiziert Neidhardt);
Stimmtonhöhe: a1 = ca. 422 Hz bei 15°C
Johann Nepomuk Holzheys Orgeln stellen gleichsam eine Kristallisation des Klangs der Aufklärung dar, denn im Klang der Instrumente vereinen sich italienische (Prinzipale und Mixturen), süddeutsche (Grundstimmen, Unterscheidliche u.v.a. Streicher) und französische (Obertonstimmen, Aliquoten u.v.a. Zungen) Elemente gleichsam synthetisch miteinander und sind als spezielle Idiomatik auf die jeweilige Akustik der Kirchenräume abgestimmt. Diese Kombination aus überkommenen und modernen Farben ermöglichte erstmals ein bruchloses Miteinander der Register in differenzierten dynamischen Abstufungen und kann daher als erster Typus eines universellen Instruments mit europäischer Prägung gelten. Für die Stiftskirche der ehemaligen Prämonstratenser-Reichsabtei Marchthal erbaute Holzhey zwei Instrumente: die Orgel auf der Empore (1777-80) und die in das Gestühl eingelassene im Chor (1782-84). Während die Chororgel seit dem 19. Jahrhundert nur rudimentär und unspielbar dasteht, wurde die Hauptorgel nach mehreren Umbauten mit dem Ziel größtmöglicher Authentizität fachgerecht restauriert (2010-13). An Holzheys erster dreimanualiger Orgel sind Werke von Komponisten zu hören, die beide als Regens chori für die Musik im Kloster verantwortlich gewesen sind und diese auf einem hohen Niveau gepflegt haben: Pater Isfrid Kayser (1712–1771) und Pater Sixt Bachmann (1754–1825). Sowohl bei Kaysers Parthien als auch bei Bachmanns Fugen bzw. der Sonate handelt es sich um Musik für das „Clavier“, die vom Spieler entsprechend dem gewählten Tasteninstrument im Gestus und ggf. bzgl. der Tonhöhe anzupassen sind. Die Disposition der Marchtaler Hauptorgel bietet hierfür vielfältige Mischungen von Klangfarben, um den Affekt bzw. den Charakter jedes Stückes darzustellen.
Isfrid Kayser (1711-1771)
Concors Digitorum Discordia (Augsburg 1746), Parthia prima [in D], Concerto – Corrente – Menuet / Trio – Passepied / Trio – Adagio – Quique
Parthia seconda [in Es]
Intrada – Cantabile – Fantasia – Menuet / Trio – Gavotte en Rondeau – Final
Parthia tertia [in B]
Ouverture – Gavotte en Rondeau – Capricio – Menuet / Trio – Siciliana – Rigaudon – Quique
Sixt Bachmann (1754-1825)
aus Dix Fugues célèbres pour l’Orgue ou le Clavecin (Marchthal ca. 1790-er Jahre)
Fuga quarta [in D]
Fuga sexta [in C]
aus Acht Sonaten zum Schlagen (Marchthal ca. 1770-er Jahre)
Sonata quinta [in F]
Allegro moderato – Andante un poco Lento – Presto molto